Vor Kurzem erschien sein neues Buch Philosophie für alle, die es wissen wollen. Darin versucht der Autor Heinz Eidam Antworten zu finden auf die treibenden Fragen unserer menschlichen Existenz. Dabei orientiert er sich an seiner Konzeption des Philosophieunterrichts in seiner Zeit als Gymnasiallehrer. Im Gespräch mit K&N gibt der Autor Heinz Eidam weitere Einblicke in die Thematik des Buches und in seine Biographie.
Gab es einen speziellen Moment, der sie dazu beeinflusst hat, sich in Ihrem neuen Buch auf diese Art und Weise der Philosophie zu nähern?
H. Eidam: In der Tat. Es war der Moment, in dem ich nicht wusste, wie ich es machen sollte. Coronabedingt war kein Präsenzunterricht möglich. Wie aber gestaltet man einen Philosophieunterricht aus der Ferne, wie lässt sich eine Einführung in die Philosophie (für die E-Phase) in der Form eines Distanzunterrichts bewerkstelligen? Die Idee war als solche nicht besonders einfallsreich, aber pragmatisch (über Moodle und online) machbar: einen Reader zusammenstellen mit interessanten Texten, die für philosophische Fragestellungen wichtig, aber auch noch relativ gut lesbar sind. Was sonst im Präsenzunterricht möglich war (Zusatzinformationen, Hintergründe, Textanalyse etc.), das musste aus der Distanz heraus kompensiert werden (durch Einleitungen zu den Texten, Analysen und Kommentare). Zu den jeweiligen Lektionen gab es konkrete und differenzierte, auch kreatives Arbeiten (z. B. Collagen, Bilder, Liedtexte) einbeziehende Arbeitsaufträge.
Ihr Buch ist insbesondere für Schule und Studium konzipiert. Wie sind Sie dabei primär vorgegangen? Woran haben Sie sich bei dieser Konzeption orientiert?
H. Eidam: Konzipiert wurde diese Einführung in die Philosophie für Schule (Oberstufe) und Studium sowie für alle, die sich für philosophische Fragestellungen interessieren. Orientiert habe ich mich an den bekannten Fragen Kants, ergänzt durch einen fünften Teil „Was lässt sich glauben?“, der Fragen zum Verhältnis von Philosophie und Religion nachgeht. In jedem Teil wurde versucht, mit der Auswahl der Texte einen Bogen zu schlagen von der Antike bis zur Neuzeit. Dies erschien mir deshalb sinnvoll, weil die uns selbst als Menschen betreffenden Fragen eben auch eine Geschichte haben, die man aus philosophiehistorischen Gründen nicht vergessen und aus systematischen Gründen nicht ignorieren sollte. Vor allem kam es mir darauf an, ausgehend von philosophischen und auch literarischen Texten Wege zu finden, um sich eigenständig, kritisch und produktiv sowohl mit den überkommenen Fragen der Philosophie als auch mit den eigenen auseinandersetzen zu können. Konkret durchgeführt wurde, in der Form des Distanzunterrichts, allerdings nur der erste Teil „Was ist der Mensch?“
Was nehmen Sie selbst aus Ihrer Zeit als Gymnasiallehrer für Philosophie mit?
H. Eidam: Was ich aus meiner Zeit als Lehrer an der Schule mitnehme, unterscheidet sich nicht wesentlich von dem, was ich auch als Hochschullehrer mitnehmen konnte. Wenn ich mich (im Vorwort) bei meinen Kolleginnen und Kollegen, aber insbesondere auch bei meinen ehemaligen Studentinnen und Studenten, Schülerinnen und Schülern für das bedanke, was sie mich durch ihre eigenen, ebenso unbefangenen wie unbequemen Fragen immer wieder gelehrt haben, dann ist das durchaus ernst gemeint. Wer nachdenkt, der muss das zwar immer für sich alleine tun; das kann ihm niemand abnehmen. Unterrichten, Lehren heißt deshalb, zu einem eigenständigen und selbstverantwortlichen Denken anzuregen. Wenn so das Denken seit der Antike als ein inneres Selbstgespräch gesehen wird, dann bedeutet das jedoch nicht, dass man gegen eine Wand redet. Und wenn Philosophieren (Aristoteles zufolge) mit dem Staunen beginnt, dann beginnt das Denken mit den Fragen, die sich daraus ergeben. Sofern ein Unterricht in diesem Sinne gelingen soll, dann kann er nicht darin bestehen, die Fragen, die auch schon die Kinder und Jugendlichen umtreibt, ihnen als Kinderfragen wieder auszureden. Man kann auch nur dann schülerorientiert unterrichten, wenn man ihre Fragen ernst nimmt und (auch als Lehrer*) nicht so tut, als hätte man für alles schon eine Antwort. Das ist, sozusagen, gute alte sokratische Tradition. Erst wenn man sich (auch als Lehrer*) eingesteht, die Antwort nicht schon zu haben, kann man sich gemeinsam auf den Weg machen, nach einer zu suchen.
Welche Reaktionen oder Rückmeldungen zu Ihrem Buch haben Sie am meisten berührt oder überrascht?
H. Eidam: Rückmeldung zum Buch habe ich erst wenige bekommen, es ist ja auch eben erst erschienen. Es gab Rückmeldungen von ehemaligen Universitätskollegen* (Philosophie/Theologie), und die fielen positiv aus: „Beim Lesen Deines Textes ging mir durch den Kopf: […] was wäre aus mir geworden, wenn ich diese Anregungen bereits vor dem Beginn meines Studiums gehabt hätte? […] ich bin sehr beeindruckt, was Du mit Oberstufen-Schülern besprichst und wie Du sie an Probleme heranführst.“ (WSK) „Was ist das für ein Reichtum, den Sie da dem Leser und den Schülern anbieten, von den Vorsokratikern bis zu den neurophilosophischen Fragen der Gegenwart, und dazwischen so Vieles auch noch aus dem Bereich der antiken und modernen Dichtung. Und Ihre skeptischen Fragen hinsichtlich des Wissens sind so berechtigt.“ (ThK) „So etwas ist wirklich notwendig auch für jene Menschen, die, unabhängig vom Alter, neugierig genug sind, sich dieser großartigen Wissenschaft (würde Schelling sagen) zu nähern.“ (MMF.)
Ein von den Schülerinnen und Schülern (E-Phase) in ihren Rückmeldungen geäußerter Kritikpunkt war, dass die zitierten Texte zum Teil zu lang und manche schwierig seien. (Das ist ein Problem für die Schule: Einerseits wird die Kompetenz der Analyse argumentierender Texte auch im Abitur erwartet, andererseits bestehen Lehrwerke größtenteils nur noch aus Texthäppchen und Gedankensnacks.) Die Länge und Schwierigkeit der Texte wurde aber nicht nur negativ gesehen, und es waren gerade die Rückmeldungen der Schülerinnen und Schüler, die mich und meinen pädagogischen Enthusiasmus darin bestärkt haben, diese Einführung dann noch weiter auszubauen: „Allgemein hat dieser Philosophie-Kurs sehr viel Spaß gemacht und war eine kleine Abwechslung zum normalen Unterricht. Ich finde die Aufteilung dieses Kurses in einzelne Lektionen sehr gut, wodurch man immer den Überblick behalten konnte. […]. Trotzdem waren ein paar Lektionen sehr schwierig vom Verständnis her […].“ (PS) „Die Zusammenstellung der Texte und Lektionen hat mir wirklich gut gefallen, vor allem waren die Kommentare unter den jeweiligen Texten sehr hilfreich.“ (AW) „Die Texte waren immer sehr gut und auch verständlich. Außerdem waren aber auch die Themen sehr interessant und die Aufgaben sehr abwechslungsreich.“ (JA)
Besonders berührt haben mich zwei Rückmeldungen, weil sie den Sinn des Philosophieunterrichts überhaupt betreffen: „Der Philosophie-Unterricht hat mir immer viel Spaß gemacht, zwar waren die Lektionstexte manchmal relativ umfangreich und komplizierter gestrickt als andere Texte, die ich bis jetzt gelesen habe, aber Ihre Kommentare zwischendurch haben sie verständlicher (und humorvoller) gemacht. Ich bin mir sicher, dass der Unterricht viel interessanter und spannender gewesen wäre, wenn wir in Präsenz hätten zusammensitzen und miteinander diskutieren können. Aber auch online war es eine tolle Reise und ein ewiger Denkprozess, der uns alle zum Nachdenken gebracht hat. Besonders schön fand ich die Auswahl an Aufgaben, die verschiedene Personengruppen von uns ansprachen. Vor allem die Kreativaufgaben haben mich sehr gefreut, weil ich finde, dass die Kreativität in unserem heutigen Schulalltag viel zu wenig gefördert wird. Ich glaube, dass der Philosophie-Unterricht uns dazu gebracht hat, über uns selbst und allgemein über Menschen nachzudenken, zu kritisieren, zu hinterfragen, und vor allem, natürliche Dinge nicht als solche anzusehen. Ich finde, wir konnten alle etwas aus diesem Philosophie-Kurs für unser Leben mitnehmen und kann deswegen sagen, dass ich sehr froh bin, diesen Kurs gewählt zu haben.“ (SK) „Der Philosophiekurs hat mich der Welt ein Stück nähergebracht. Durch Philosophie entwickelt man eine Art Grundverständnis für das Leben, für das Verhalten, von uns selbst und anderen Menschen, was in diesem Kurs sehr zur Geltung gekommen ist. (GS)
Auch ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass es besser und „spannender“ ist, wenn man „in Präsenz […] zusammensitzen und miteinander diskutieren“ kann. Wenn die Corona-Krise, der Notbehelf der Digitalisierung und des Distanzunterrichts etwas gezeigt haben, dann das, dass man auch beim Philosophieren auf das persönliche Gespräch und eine lebendige Diskussion nicht verzichten kann. Da in den Rückmeldungen auch die gestellten Kreativaufgaben genannt wurden, will ich – und darf es mit der Erlaubnis der Künstlerin (Annika Wienzek) auch tun – noch ein Bild hinzufügen. Es zeigt das Innere der berühmten Höhle, die Platon Sokrates in seinem Gleichnis beschreiben lässt.
Annika Wienzek: Platons Höhle
Das Buch Philosophie für alle, die es wissen wollen ist im Juni 2024 bei K&N sowohl als Print als auch als E-Book erschienen. Weitere Informationen zum Buch und zum Autoren finden Sie hier.